WAS HAB ICH, GOTT IM HIMMELSTHRON | VATER UNSER (rev) – Gebet, Vater unser

Das Vater unser, 
               von Ludovico Bigi  aus Ferrara (um 1484-1494)
 
                                   bei Geiler von Kaysersberg,

                      in „Doctor keiserspergs pater noster „ 1515
    Vater unser im Himmelreich                      
          Vatter unser der du bist in den hymeln
          Pater noster qui es in celis
             (4 Vers im original Text, 2 weggelassen)
 
 
1. Was hab ich, Gott im Himmelsthron                 GOTTES LOB
    So gross und weit verdienet schon,
    Dass ich soll angenommen sein
    Als eines von den Kindern dein?
    O König aller Ehren, recht,
    Welch’ Ehre tust du deinem Knecht!
 
2. Wer könnt mit Menschen Vernunft das 
    Ergründen und erfahren, was
    Du uns so lehrst, wie du allein
    Bist auf dem hohen Thron, so rein,
    Über die Welt? Was willst’ damit
    Uns geben zu verstehn, ich bitt ?
 
 
Geheiliget werde dein Name          Gehailiget wird dein nam
          Sanctificet nomen tuum
(6 Vers im original Text, 2 wegggelassen)
 
 
5. Weil du selbst für uns allgemein
    Ein Vater bist – welch Name fein! –
    Bitten wir darum überall,
    Mit gross Begier und reichem Schall,
    Dass deine Ehr’ wird hoch gehebt
    Von allem, was auf Erden lebt.
 
6. Wer dich kann ehren hier genug,
    Der ist fürwahr ein Diener klug!
    Denn du bist selbst die Gütigkeit,
    Hast alles bestens zubereit’t,
    Auch alles ganz erschaffen gut,
    Und machst, dass es beharren tut.
 
10. Darum mein ganzer Wille ist, 
      Aus aller Kraft, zu jeder Frist,
      In Ewigkeit stets loben dich;
      So soll, Gott, jetz auch sicherlich
      Dein Mildigkeit in aller Welt
      Sich giessen aus, ganz ungezählt.
 
 
 
    Dein Reich komme                                                  Zu komm dein reich
          Adveniat regnum tuum
                ( 1 Vers im original Text )11. Damit auch jede fremd’ Nation                            MISSION
      Zum wahren Glauben kommen kann
      Und richtig so anbete dich,
      Dass dein Reich kommt zur rechten Frist,
      Verschon von Geissel sie und Straf :
      Denk doch an das verlorne Schaf !
     
            Der Gedanke ist: wenn alle Nationen der Welt
            christlich geworden sind, dann kann das Reich
            Gottes kommen. So verstand man den Befehl
            Christi: „Geht hin in alle Welt und machet
            sie zu Jünger… »  Gott erweise sich, bis dann,
            als barmherzig zu den „verlorenen Schafen »,
            damit sie schneller in den Glauben und in
            die Kirche eintreten. So kann des Reich desto
            schneller kommen, und das Gebet zur Erhörung
            gelangen.
 
 
Dein Will gescheh wie im Himmel so auf Erd          Dein Will der wird : alsd im hymmel und in erde
          Fiat voluntas tua sicut in celo et in terra
               ( 5 Vers im original Text, 3 weggelassen)
12. Nun, weil du, Gott, die Schuldner dein
      Am End willst, durch der Marter Pein,
      Dort strafen immer, ewiglich,
      So biet und heiss uns alle gleich,
      Hier handeln was dir wohlgafällt,
      Wie es im Himmel ist bestellt.
 
13. Denn, wenn von einem Fall allein,
      Die Schare der Engel fiel gemein
      So schwerlich von dem höchsten Thron,
      Hinab bis auf den Höllenplan,
      Wie soll es dann uns armen gehn,
      Wenn wir dort vor dem Richter stehn?
 
    Unser täglich Brot gib uns heute
          Unser täglich Brot gib uns heut
          Panem nostrum quotidianum da nobis hodie
                 (7 Vers im original Textr, 7 behalten)
 
 
17. Den Reichtum Cresus nicht begehr,                ABENDMAHL
      Die Kraft Achilles auch nicht mehr,
      Begehr nicht gross gahalten sein
      In Wort und Werk auf Erden, nein!
      Herr Gott, gib du nun gnädiglich
      Das lebend Brot vom Himmelreich,
 
18. Dass wir es jetzt geniessen hier
      Und dort in Ewigkeit bei dir,
      Die selig Speis der Menschen, rein,
      Bis dann geschieht die Rückehr dein.
      Christ, unser Heil, wiedergeborn,
      Hast uns versöhnet Gottes Zorn!
 
19. Denn alle Dinge war’n zuvor 
      Bedeckt mit Finsternis bevor,
      Dass niemand konnt’ begreifen, dass
      Dies Brot hat wiederbracht Erlass,
      Erwünschten Schein und lichten Glanz,
      Die wir geniessen voll und ganz.
 
20. Wenn nun ein Mensch in Glaub’ und Geist
      Von diesem Brot isst, wie es heisst,
      So hat er ewig’s Leben zwar,
      Ob er auf Erden sterbet gar.
      Drum essen soll dies Brot ein Kind
      Von Gott, das es begehrt, geschwind!
 
21. In Glaubens Wahrheit sicherlich,
      Wer heilsam will so speisen sich,
      Mach’, dass er erst in Herz betracht’t
      Kreuz, Leiden, die der Herr vollbracht’t.
      Dann kann er’s tun und handelt wohl
      In rechter Ordnung, wie es soll.
 
22. Er muss auch trauern, Mitleid hab’n,
      Mit Schmerz im Herzen, übergehn
      Zum Fürsten, Herr und Retter gross;
      Er tu nach Christi Beispiel Mass,
      Der alle Ding’ vollkommen macht;
      Seins Lebens End er noch betracht’!
 
23. Soll sich nicht hängen an die Welt
      Durch Lieb und was Wollust gafällt,
      Nicht gehn den breiten weiten Weg,
      Sondern er treff den engen Steg,
      Der uns recht führt zum Himmelreich,
      Das uns Gott gnädiglich verleiht.
 
      Und vergib uns unsre Schuld,
    wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
          Und vergib uns unsere Schulden :
          Als auch wir vergeben unsern schuldnern
 Et dimitte nobis debita nostra
          Sicut et nos dimittimus debitoribus nostris
                  (3 vers im original Text, 1 weggelassen)

 
25. Ach Herr, wie oft aus Ehrgeiz gross                  BEICHTE
      Hab ich verletzt über die Mass
      Dich mit der Hand und mit der Stimm,
      Mit Wort und Werk, manchmal in Grimm,
      Durch Geizigkeit, Undankbarkeit:
      Das ist mir nun von Herzen leid!
  
26. Wie schwer doch mein Schmerz aber ist,
      So bitt ich, du wollst diese Frist
      Gedenken des Verdienstes gross,
      Des Herren Todes, beispiellos,
      Dass wir vergeben unsern Feind’,
      Die gegen uns auch wütend sind.
 
Und führe uns nicht in Versuchung
          Und nit fuer uns in versuchung
          Et ne nos inducas in tentationem
                  (1 Vers im original Texte)
 
 
27. Und was von der Versuchung ist ,                REUE
      So gib uns jetzt, Herr Jesu Christ,
      Dass uns je nicht, aus Lieb der Welt,
      Die Lust des Fleisches überfällt,
      Und lassen den ang’gfangnen Weg,
      Der uns recht führt zum Himmelsteg.
 
 
    Sondern erlöse uns von dem Bösen
          Sed libera nos a malo
                 (1 Vers im original Text)
 
 
28. Sondern erlös uns unsern Sinn,
      Der grob ist und bös wie ein Spinn!
      Und vor dem schnöden Teufel gar,
      Der uns ist stetig gross’ Gefahr.
      Dazu beschirm uns, Herr, du ab
      Vom Höllenhund* und von dem Grab.
 
                       AMEN
                                       * Cerberus, der Hund am Eingang
                                          der Hölle, in der antiken Mythologie,
                                          der die Seelen der Bösen frisst.
 
 
                      Text:         Was möcht ich o herr des hymelstron
                                        Ludovico Bigi aus Ferrar (vor 1493)
                                        Pico von Mirandel gewidmet,
                                        in „Doctor keyserspergs pater »,
                                        1515, in Strassburg
                                        Revidierung: Yves Kéler 2006
                      Melodie:    keine im original Texte
  möglich: Vater unser im Himmelreich
                                        Martin Luther, 1539
                                        RA 211, EG 344
 
 
 
 
Der Text
 
 

1.  ZUM  ORIGINALTEXT

a.  Das Buch von Geyler von Keysersperg
 
        Dieses Lied ist ein Kommentar zum Vater Unser, erschienen in einem Buch mit auserwählten Predigten des Geiler von Kaysersberg, berühmter Prediger am straßburger Münster, 1445 Schaffhausen-1510 Straßburg. Die Predigten wurden im Jahr 1508 gehalten, in welchem das Osterfest auf den 23. April fällt, laut julianischer Ostertabelle. Sie sind im Buch datiert auf den Tag und Monat, aber nicht auf das Jahr, und gehen von Aschermittwoch ( Was der .ix. tag des Mertzen), über Ostern ( Was der .xxiij. tag des Aprillen), bis zum 8. Sonntag nach Trinitatis (Die .lxiiij. und letst predigt unsers Pater nosters) , und bilden also eine Reihe von 64 Reden, dicht Tag für Tag von Aschermittwoch bis zum Gründonnerstag, dann auf verschiedenen Sonntagen oder Feiern von Heiligen gestellt, und hören am 8. Trinitatis auf.
 
        Der Titel des Werks ist:
 

                        Doctor keiserspergs pater
     noster. Des hochgelerte wurdige Predicanten
       der loblichen statt Strassburg. Usslegung / 
                               über das gebette des Herren /
   so wir täglich sprchen. Vatter unser der du bist in 
                               den hymeln  rc.*
 
                                             *rc = etc…

        Laut Seite 225, war das Buch zuerst auf Latein, dann verdeutscht: merkwürdig, denn nach dieser Abschlussnotiz der Predigtreihe, wurden diese Predigten höchstwahrscheinlich auf deutsch gehalten, wegen dem Volk, aber dann in Latein übersetzt und gedruckt, und dann von diesem Text aus verdeutscht von Andreas Adelphus Argentinus. So ist der Text vielleicht nicht der wortwörtliche von Geyler, sondern das Ergebnis einer doppelten Übersetzung.
 
        Folgendes steht nämlich Seite 225, am Ende der Predigtenreihe:
Hie endet sich die lob-
liche usslegung und predigt / über das ge
bett des herren / so dann gelert und gepre
diget hatt / in vorgeschribner mass / Der
hochgelert Doctor Johann Geyler von
Keysersperg / in d’ loblichen statt Strass
burg. Und das nachmals in latyn ge
trucket. Aber jetzo mit flyss unnd liebe /
christenlicher meynung / gegen gott und
allen menschen / verteutschet uss dem la
tyn / durch Johannem Adelphum Ar
gentinum. Gott zu lob und ere / und gemey
ner christenheit zu nutz und trost / irer se- 
len seligkeit / wie man die verdienen sol
durch ein recht gebett.Amen. Damit
beger ich von eim yeden leser diss werks
und zuloser* / ein Pater noster umb got
tes willen / weyter genad zu erwerben.
           A         M        E        N
                  * Zuloser: zuhörer, von losen = hören
 
 
        Die Predigten handeln vom Vater Unser. Am Ende dieser Reihe steht das Vater Unser-gedicht von Bigi. Das Buch ist von 1515 datiert, gedruckt in Straßburg, aber das eigentliche Datum des Gedichtes steht nicht. Das Buch schließt mit folgenden Worten:
 
                               Getruckt und volendet in der loblichen
                    Statt Strassburg. Durch den fürsichtigen Mathiam
                      Hüpffuff / buchtrucker / uff Letare oder halbfa /
                             sten. Als man zalt von der geburt Chris /
                                sti unsers herren / Tausend / fünff
                                            hundert und fünffze /
                                                       hen Jare.
 
b.   Empfänger und Verfasser
 
        Die Einleitung lautet folgends: 
 
                                               Ein betrachtung Lu //
                              dovici Bigi von Ferrar / über das ge /
                           bett des herren / wölche meditation er ge
                             schriben hat / zu dem grauen* Pico von
                             Mirandel / in latynischen versen / dern
                                             Inhalt ist teütsch also.
                                                                                            * grauen = graven = Grafen        Pico von Mirandel, oder Pico de(lla) Mirandola, ist ein berühmter Wissenschaftler und Humanist der italienischen Renaissance. Er ist in 1463 geboren, im Schloss von Mirandola, in der Gegend von Mailand, als dritter Sohn einer gräflichen Familie, daher der Titel „grau, Graf » im Buch. Sehr begabt, von seiner verwitweten Mutter befördert, trat er zur Universität mit 14 Jahren. Im Jahre 1484 fixierte er sich in Florenz, bei Laurentius de Medici. Er war neuplatoniker und wollte die Übermacht des Aristoteles in der Scholastik bekämpfen, so schrieb er dazu ein Buch mit 900 Thesen : „Conclusiones philosophicae, cabalisticae et theologicae », 1486. Mit diesem Buch wollte er auch beweisen, dass alle Philosophien, Weisheiten und Religionen in das Christentum münden. Von der Kirche angegriffen und eine Zeit exkommuniziert, flüchtete er nach Frankreich, wo man ihn drei Wochen lang, in 1488, im „donjon de Vincennes » einsperrte. 1488 kam er zurück nach Florenz, wurde mit Savonarola befreundet, auf welchen er einen großen Einfluss übte. Er starb jung, im Alter von 30 Jahren, 1494, in Florenz, wahrscheinlich vergiftet durch seinen Sekretär, ein eifersüchtiger und geldgieriger Mensch, der Pico von seinem Gut rauben wollte.
        Ludovico Bigi ist wahrscheinlich ein Mitglied der Familien Bigi aus Florenz, unter welchen ein bekannter Maler war. Nach dem Titel war er vielleicht in Ferrar wohnhaft.
 
        Das Datum des Gedichtes ist also vermutlich zwischen 1484 und 1494 zu setzen, aus der florentinischen Zeit von Pico. Hat es der straßburger Übersetzer; Andreas Adelphus Argentinus, an das Buch des Geylers hingestellt, oder hat es der Geyler schon gemacht, in der lateinischen Ausgabe von 1508 ? Ich würde eher sagen: der Übersetzer, denn das Gedicht vom Bigi ist ursprünglich auf Latein und wird ausdrücklich als verdeutscht angegeben. Und am Anfang, vor der Reihe der Predigten, steht eine kurze Zusammenfassung des Vater Unsers, diesmal auf Deutsch und halbgereimt, sicher von Geyler selbst geschrieben, die besser in den Stil des Geylers hineinpasst als das italienische Gedicht. Aber das Beispiel der Ähnlichkeit mit Luther lässt denken, dass solche Lieder schon vor Geyler von Keysersperg bekannt waren. Warum hätte dann Geyler ein solches nicht angewandt? Man kann also nicht entscheiden, ohne andere Kenntnisse über dem allem.  
 
 
b.   Das Gedicht
 
        Das Gedicht ist in der Form und in dem Geist ähnlich mit dem „Vater unser im Himmelreich » von Martin Luther, aus 1539. Die poetische Struktur ist die selbe: es sind maskulin Verse mit 8 Silben, wie sie auch Luther anwendet in seinem „Vater unser », in einer Gruppierung in  VI  8.8, 8.8, 8.8. Der Text geht laufend durch, ohne Angabe von eventuellen Strophen zum Singen. Er war wahrscheinlich nicht zum Singen gedacht.
 
        Aber, wenn man die Verse in Gruppen von 6 einteilt, nach der selben Art von  VI  8.8, 8.8, 8.8, kann man dieses Gedicht als ein Lied auf der Melodie von Luther singen kann. Diese Ähnlichkeit zeigt, dass in dieser Zeit diese Gattung klassisch war und von verschiedenen Autoren in Italien und Deutschland gebraucht war. 
 
        Das Gedicht ist aufgeteilt nach den Sätzen des Vater Unsers: erst die Invocation, dann die Bitten, die auf Latein geschrieben sind. Aber die Zahl der Verse pro Sektion ist unterschiedlich, und geht von einem Maximum von 7×6=42, bis zu einem Minimum von1x6=6 Versen, nach folgender Tabelle ( Die letzte Spalte ist die vorgeschlagene Einteilung in Strophen zu Singen):  
Pater noster qui es in celis,                          (4×6) + 2 =  26 Verse     1-4
Sanctificet nomen tuum,                               6×6-=         36             5-10
Adveniat regnum tuum,                               1×6 =            6                11
Fiat voluntas tua sicut in celo et in terra.        5×6 =          30            12-16
Panem nostrun quotidianum da nobis hodie.   7×6 =          42            17-23
Et dimitte nobis debita sicut et nos                (3×6) + 2 =  20            24-26
       dimittimus debitoribus nostris.               1×6 =            6                 27
Et ne nos inducas in tentationem,                  1×6 =            6                28
Sed libera nos a malo. Amen.                       (1×6) + 4 =  10
 
                                      Insgesamt:                            176 Verse
 
 

2. ZUR  REVIDIERUNG DES TEXTES

   Die Revidierung des Textes ist eine Umsetzung in heutiges Deutsch, damit man diese Meditation singen kann.

        Ich habe das Gedicht in Strophen von 6 Versen eingeteilt, wie es in der obigen Tabelle steht, habe aber einigen Strophen weggelassen, die wenig Interessen erweisen wegen der Flachheit des Inhalts und der Form, und so nur die behalten mit guten Bildern und Formulierungen.

        Der Text zeigt, dass er aus der Renaissance stammt, in dem er Bilder und Ausdrücke aufzeigt, die aus der antiken Mythologie entnommen sind:

               Strophe 17 : Den Reichtum Cresus nicht begehr,.
                                    Die Kraft Achilles auch nicht mehr »…
               Strophe  28: « Vom Höllenhund und von dem Grab. »

        Cresus ist der überreiche König von Sardes, 546 v.C. von Cyrus, den Perser König geschlagen. Achilles ist der Held des Trojanischen Kriegs, und Cerberus der Hund mit drei Köpfen am Eignang der Hölle, der die böse Seelen auffrisst.